Sehr geehrte Dividenden-Investoren,
ich hoffe, Sie haben die heißen Tage genossen und sich nicht mit dem Börsengeschehen beschäftigt. An der Börse ist es wie beim Sport, die tägliche Veränderung generiert viel Aufmerksamkeit und verleitet dazu, sich eher dem Rausch des Momentes hinzugeben als sich auf das große Ganze zu konzentrieren.
Börsenkommentatoren neigen dazu, Erklärungen zu suchen für ein Fallen oder Steigen der Kurse, nach dem Motto „der Ölpreis ist gefallen und deswegen gaben die Ölwerte nach“. Klingt logisch, ist aber pure Spekulation.
Die Ölwerte, oder jede andere Aktie auch, fallen, weil an der Börse Angebot und Nachfrage aufeinander treffen, und bei den Kursangeboten der Verkäufer nicht genügend potenzielle Käufer bereit waren, diesen Preis zu bezahlen. Daher mussten die Verkäufer ihr Gebot senken, um ihre Aktien los zu werden. Erst bei einem niedrigeren Kurs waren die Käufer bereit zuzuschlagen. Dadurch ist der Kurs gefallen. Was Käufer bzw. Verkäufer bewegt hat, gerade zu diesem Kurs zu handeln, wissen wir nicht.
Kennen Sie das, Sie kaufen eine Aktie bei 20 Euro und danach fällt sie auf 10 Euro. Sie sehen in Ihrem Depot ein dickes Minuszeichen von 50 Prozent. Sie sagen sich, wenn die Aktie wieder die 20 Euro erreicht, dann werde ich verkaufen! Gesagt, getan, die Aktie steigt wieder auf 20 Euro und sie sehen die schwarze Null und verkaufen. Für Sie ist es egal, ob die Zinsen gesunken sind oder ob die Quartalsberichte des Unternehmens positiv ausfallen, Sie handeln, weil Sie sich einen Anker gesetzt haben und die Entwicklung der Aktie an ihrem Einstiegskurs von 20 Euro festmachen. Für Sie ist es egal, ob der innere Wert der Aktie bei 30 Euro liegt oder vielleicht doch nur bei 10 Euro, Sie betrachten die Kursentwicklung im Verhältnis zu Ihrem Einstiegskurs. Sie handeln aufgrund Ihres psychologischen Ankers.
Aussagen wie „die Zinsen sind gefallen bzw. gestiegen“, oder „der amerikanische Arbeitsmarktbericht fiel schlecht aus“ oder „die Analysten haben die Aktie heraufgestuft“ bieten zwar eine vermeintliche Erklärung für das Auf und Ab, aber sie sind das, was Nassim Taleb, Autor des Bestsellers der Schwarze Schwan, eine Narrative Verzerrung (narrative fallacy) nennt.
Unser Gehirn ist so gepolt, dass wir eine Erzählung schaffen, um ein Ereignis oder eine Sequenz von Ereignissen nachträglich erklären zu können. Die Narrative Verzerrung ist an der Börse allgegenwärtig und gerade bei dem täglichen Auf und Ab der Kurse sehr gefährlich, denn Kursschwankungen eines Tages sind oftmals nicht mehr als Zufall und eher psychologischen Ursachen geschuldet als harten Fakten. Das heißt, ob die Kurse an einem Tag steigen oder fallen ist vergleichbar mit dem Werfen einer Münze, mit dem Unterschied, dass wir nicht wissen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Kopf oder Zahl eintreten.
Auch die Entwicklung in der Realwirtschaft hat nur einen indirekten Einfluss auf die Kursentwicklungen. Die Börse kann gut laufen, während es der Wirtschaft schlecht geht und umgekehrt. Der amerikanische Aktienmarkt ist zurzeit das Paradebeispiel für eine schlechte Wirtschaft und eine gute Börse.
Der berühmte Spekulant André Kostolany erkannte, dass die Börse von zwei wesentlichen Faktoren beeinflusst wird – Geld und Psychologie. Solange Geld und Psychologie positiv bleiben, steigen die Kurse. Wird ein Faktor negativ, sinken die Kurse. Wann welcher Faktor ins Negative dreht, wissen wir nicht. Nur so viel ist klar, alle Kursanstiege finden irgendwann ihr jähes Ende und je länger ein Kursanstieg andauert, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit eines Absturzes. Die Wahrscheinlichkeiten auf der Münze ändern sich, je länger eine Hausse bzw. Baisse andauert.
Es bleibt spannend,
Ihr Patrick Schubert