Sehr geehrte Dividenden-Investoren,
seit meinem letzten Artikel sind nunmehr wieder vier Monate vergangen und meine Einschätzung zu den Finanzmärkten hat sich nicht verändert. (Siehe Diesmal ist alles anders)
Entgegen meiner Annahme, dass die amerikanische Schuldenobergrenze im Spätsommer bzw. Herbst ein Thema werden würde, wurde unter den Eindrücken von Hurrikan Irma die Schuldenobergrenze still und heimlich auf den 8. Dezember 2017 vertagt.
Aktien im Höhenflug
Die Aktienmärkte in den USA und Europa befinden sich weiterhin im Höhenflug. Der DAX übersprang die 13.000er Marke und legte seit Jahresbeginn um immerhin 8 Prozent zu. Auf der anderen Seite des Atlantiks ist der S&P 500 seit Beginn des Jahres um ganze 16 Prozent gestiegen. Auch wenn die Kursgewinne nur auf wenige Titel begrenzt sind (siehe FAANG), ist die Jahresrendite im historischen Vergleich recht passabel.
Quelle: S&P 500 Historical Annual Returns
Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass Janet Yellen, Chefin der amerikanischen Notenbank FED, „keine neue Finanzkrise während unserer Lebenszeit mehr erwartet.“ Die Frage ist, was sie sich unter einer Finanzkrise vorstellt? Einen Einbruch der Aktienkurse kann sie nicht meinen, denn dieser tritt im Schnitt alle 7 Jahre auf. Keine Notenbank, selbst nicht die FED, schaffte es bisher, diesen Zyklus zu durchbrechen. Zyniker vermuteten, dass Frau Yellen, immerhin 71 Jahre alt, nicht unsere, sondern ihre eigene Lebenszeit meinte.
Okay, ein Teil des Spiels einer Notenbank ist es, Optimismus zu verbreiten, und immer so zu tun, als habe man die Lage im Griff. In einem ungedeckten Papiergeldsystem ist das Vertrauen in die Währung an die Handlungsfähigkeit der Notenbank gekoppelt.
Die FED-Bilanz, eine Vertrauensfrage?
Nach etlichen Jahren von QE und Nullzinsen erschöpfen sich so langsam die Möglichkeiten der FED und anderer Notenbanken, will man nicht den Vertrauensverlust riskieren. Die FED kündigte daher an, ihre seit dem Ausbruch der Finanzkrise auf 4,5 Billionen US Dollar angeschwollene Bilanz ab Oktober dieses Jahres um monatlich 10 Milliarden und später um 50 Milliarden US Dollar zu reduzieren.
Schaut man sich die Verteilung der FED Bilanz an, dann sieht man, dass die beiden größten Posten in der Bilanz US-Staatsanleihen (blau) und verbriefte Immobilienkredite (rot) sind. Ab 2009 begann die FED, im großen Stil die toxischen Immobilienkredite der Banken aufzukaufen. Bezahlt wurde mit aus dem Nichts geschöpftem Geld, das wiederum die Bilanzen der Kreditinstitute sanierte. Ein nicht unerheblicher Teil dieses Geldes floss in die Kapitalmärkte und ließ die Preise für Aktien, Anleihen und Immobilien in die Höhe schießen.
Quelle: FRED, Federal Reserve Bank of St. Louis
Die größte Position in der FED Bilanz sind US-Staatsanleihen. Immer wenn die FED am Markt ein Papier, sei es eine US-Staatsanleihe oder irgendein anderes Papier, aufkauft, nimmt sie es vom Markt und es wird als ein Aktiva in der FED Bilanz verbucht. Im Gegenzug erschafft die FED neues Geld und überweist es dem Verkäufer des Papieres.
Das neu geschaffene Geld wird als Verbindlichkeit auf der Passivseite der FED Bilanz verbucht. Damit erhöht sich die Bilanzsumme und schwillt über die Jahre des unablässigen Aufkaufs von Papieren immer weiter an, wie im obigen Diagramm zusehen.
Durch die Nachfrage der FED nach US-Staatsanleihen steigen die Kurse der Staatsanleihen. Im Gegenzug fällt die Rendite und damit das allgemeine Zinsniveau. Die Rendite von Staatsanleihen, insbesondere die der USA, gelten als Referenzzins. Damit kann die FED über den Ankauf von Staatsanleihen die Zinskurve direkt manipulieren.
Würde die FED nicht als „Großkäufer“ von US Staatsanleihen auftreten, wären die Zinsen in den USA wesentlich höher! Die FED steuert also nicht per Erlass die Zinsen, sondern über den An- bzw. Verkauf von US Staatsanleihen. Was passiert, wenn die FED ihre Bilanz schrumpft?
Die FED verkauft dann US Staatsanleihen und sie verschwinden aus ihrer Bilanz. Im gleichen Atemzug erhält die FED vom Käufer der Anleihe wieder Geld und dieser Betrag wird aus der Passivseite der FED gelöscht. Das Geld verschwindet wieder im dem Nichts aus dem es vorher geschöpft wurde. Die FED hat das vorher ausgegebene Geld wieder eingesammelt und sinnbildlich geschreddert. Die Bilanzsumme verringert sich.
Da die FED nun als Verkäufer auftritt, führt ihre Verkaufsaktion zu einer Ausweitung des Angebotes für Staatsanleihen und somit zu einem Verfall der Preise. Im Gegenzug steigen die Renditen der US Staatsanleihen wieder und mit ihnen das Zinsniveau. Die FED zieht durch den Verkauf von US Staatsanleihen Geld aus dem Wirtschaftskreislauf, was zu steigenden Zinsen führt.
Die Zinsen steigen seit 2015
Seitdem die FED im Jahr 2015 die Aufkaufprogramme (QE) eingestellt hat, stagniert die FED Bilanz, und die kurzfristigen Zinsen steigen wieder – wenn auch nur langsam. Aktuell liegt die Rendite für einjährige US Staatsanleihen bei 1,4 Prozent.
Quelle: FRED, Federal Reserve Bank of St. Louis
Sollte die FED ihre Bilanz wie angekündigt verringern, könnte sich der Aufwärtstrend bei den kurzfristigen Zinsen weiter beschleunigen. Die FED befindet sich aktuell mit dem Rücken zur Wand. Einerseits will sie ihre Bilanz schrumpfen, um nicht ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen, auf der anderen Seite drohen steigende Zinsen die Wirtschaft und die Kapitalmärkte in den Crash zu stürzen. Man darf nicht vergessen, dass heute die Verschuldung der Unternehmen, Haushalte und des Staates höher ist als 2008. Das Wirtschaftswachstum in den USA ist seit der Finanzkrise eher moderat ausgefallen.
Auch in Europa gab es nach der Finanzkrise von 2008, von Deutschland einmal abgesehen, keinen wirklichen Boom. Das Bruttoinlandsprodukt von Spanien, Italien und Frankreich liegt immer noch 15 bis 20 Prozent unter dem des Jahres 2008. Die Eurozone wird nur durch die ultralockere Geldpolitik der EZB zusammengehalten. Auch hier muss man irgendwann wieder zu einem normalen Zinsniveau zurückkehren, will man die Währung nicht komplett in den Abgrund jagen.
Zurzeit würde eine Normalisierung des Zinsniveaus mehrere Staaten in die Pleite treiben. Daher gibt es im Euroraum keine Mehrheit für einen Anstieg der Zinsen. Knapp 60 Prozent der Bevölkerung leben in den Eurokrisenstaaten. Die italienischen, spanischen und französischen Pensionen und Sozialleistungen werden zu einem nicht geringen Teil durch Staatsanleihen finanziert. Steigende Zinsen wären hier Gift!
Warum eilen die Aktienmärkte von Rekordmarke zu Rekordmarke, trotz steigender Zinsen?
Leider kann man das nicht eindeutig beantworten. Während die FED die QE Programme beendet hat, kaufen EZB, die Bank of England und die Bank of Japan munter weiter die Staatsanleihen und toxischen Papiere ihrer jeweiligen Währungen. Die Schweizer Notenbank, die ständig US Dollar kaufen muss, ist mittlerweile unter die 16 größten institutionellen Aktionäre bei Apple aufgestiegen.
Es wird immer noch enorm viel Liquidität in die Kapitalmärkte gepumpt und das Zinsniveau ist gerade im Euroraum nahe der Nulllinie. Mittlerweile sind die Folgen der EZB Ankäufe so absurd, dass europäische Junk-Bonds, also Anleihen von Unternehmen, die ein sehr hohes Risiko des Bankrotts innehaben, eine Rendite von nur 2,16 Prozent abwerfen, während 10-jährige US Staatsanleihen mit 2,34 Prozent gehandelt werden.
Solange die weltweite Geldmenge weiterhin steigt, treibt die Liquidität die Aktienmärkte zu immer neuen Rekordmarken. Das Ganze läuft solange, bis entweder die Liquidität versiegt oder sich die Risikoneigung der Anleger verändert oder beides eintritt.
Der Preis bestimmt die Rendite!
Sehr vielen Anlegern ist nicht bewusst, welchen Effekt eine ultralockere Geldpolitik auf den Aktienmarkt hat. Stetig steigende Kurse können schnell die Sinne vernebeln. Man muss verstehen, dass eine Aktie einen Anspruch auf die zukünftigen Gewinne des Unternehmens darstellt, welche teilweise als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Die Rendite der Anlage ergibt sich daher aus dem zukünftigen Cashflow und dem aktuellen Preis, den man für diesen Cashflow bezahlt.
Angenommen, eine Aktie wird aktuell zu einem Preis von 100 Euro gehandelt und das Unternehmen kann über die nächsten zwei Jahre einen Gewinn pro Aktie von 10 Euro erwirtschaften. Wir erhalten also insgesamt 20 Euro über die nächsten zwei Jahre. Nun kommt die EZB und pumpt billiges Geld ins System. Dies senkt die Anleihezinsen und macht daher eine Aktie, die für 100 Euro zu haben ist und 10 Euro Gewinn erwirtschaftet, sehr attraktiv. Die Nachfrage steigt und damit auch der Kurs. Als Inhaber der Aktie freuen Sie sich, weil die Aktie innerhalb weniger Monate um 16 Prozent gestiegen ist, und verkaufen die Aktie. Sie haben einen Kursgewinn von 16 Euro. Was ist in diesem Moment passiert?
Der Käufer der Aktie hat Ihnen für den Cashflow von 20 Euro für die nächsten zwei Jahre 116 Euro geboten. Das heißt anstatt zwei Jahre warten zu müssen, um 20 Euro als Gewinn über eine Dividendenausschüttung zu erhalten, erhalten Sie sofort 16 Euro als Kursgewinn. Die Entscheidung, die Sie getroffen haben, ist, 16 Euro sofort anstatt 20 Euro über die nächsten zwei Jahre. Mit dem Verkauf der Aktie haben Sie Ihren Gewinn vorweggenommen (auch „Front-Loading“ genannt).
Der Käufer der Aktie, der 116 Euro für einen Gewinnanspruch auf 20 Euro gezahlt hat, hat naturgemäß eine niedrigere Rendite als der Verkäufer der Aktie. Steigt der Kurs weiter, kann auch er entscheiden, ob er den Gewinn vorwegnimmt oder an der Aktie festhält. Mit steigendem Kurs wird die Rendite für den Käufer immer kleiner, bis sie an einem Punkt ist, wo es für einen Käufer keinen Sinn macht, mehr für den Anspruch auf Gewinne zu zahlen, als die Summe der Gewinne, die ausgeschüttet werden. In einer rationalen Welt müsste der Kurs wieder fallen. In einer irrationalen Welt der Nullzinsen, ist es möglich, über diesen Punkt hinauszugehen.
Zusammenfassend führt eine Nullzinspolitik zu steigenden Aktienkursen und zu einer Vorwegnahme der Gewinne für die Anleger, die Aktien innehalten. Die Gewinne der Unternehmen werden dadurch nicht unbedingt gesteigert. Die Renditen für Aktienkäufer sinken bis zu einem Punkt, an dem das Risiko der Anlage nicht mehr deren Gewinn rechtfertigt. In den USA haben wir diesen Punkt schon überschritten. In Europa bewegen wir uns langsam auf diesen Punkt zu.
Empfehlung für Anleger
Meine Einschätzung bleibt unverändert – kurz, machen Sie aktuell einen Bogen um Aktien und halten Sie Cash! Auch wenn es schwer fällt, bei steigenden Märkten nicht investiert zu sein. Die Jagd nach ein paar Prozent Rendite kann schnell zu einem Verlust von 50 Prozent und mehr führen. Egal welches Bewertungskriterium Sie anführen, viele Aktien sind im historischen Vergleich zu teuer.
Zu denken, man könne schnell verkaufen, wenn es zu einem Abverkauf kommt, ist illusorisch. Sie werden im Moment des Sturms den Sturm nicht erkennen. Wenn alle den Sturm erkennen, dann drücken auch alle anderen den Verkaufsknopf. Im Zeitalter der Algo-Trader und High Frequency Maschinen haben Sie dann keine Chance. Geduld und Cash sind aktuell die besten Investmentempfehlungen, die man aussprechen kann.
Es bleibt spannend,
Ihr Patrick Schubert