Sehr geehrte Dividenden-Investoren,
sicherlich werden Sie schon festgestellt haben, dass ich die derzeitige Marktlage sehr skeptisch betrachte. Was bedeutet das? Nun, ich denke, dass die derzeitigen Aktienkurse bei vielen Unternehmen zu hoch sind und für einen langfristig orientierten Dividenden-Investor aktuell keine interessanten Unternehmen, bei vertretbarem Risiko, am Markt zu finden sind.
Viele Unternehmen werden über ihrem fairen Wert gehandelt. Was uns zu der Frage bringt: was ist ein fairer Wert (fair Value) und was kann man sich darunter vorstellen?
Angenommen, wir haben ein Unternehmen, dass Ihnen in 10 Jahren 100 Euro an Dividenden auszahlt und aktuell mit einem Aktienkurs von 82 Euro gehandelt wird. Mit Hilfe des Taschenrechners und der Formel für die Zinsberechnung ergibt das eine zu erwartende Rendite von 2 Prozent (82 Euro * 1,02^10 = 100 Euro). Das bedeutet, Ihr Investitionskapital in Höhe von 82 Euro verzinst sich über einen Zeitraum von 10 Jahren mit 2 Prozent, so dass daraus 100 Euro werden.
Wenn Sie für sich persönlich entschieden haben, auch aus Mangel an Anlagealternativen, dass 2 Prozent Rendite annehmbar sind, dann ist die Aktie für Sie „fair“ bewertet. Das bedeutet, ob eine Aktie „fair“ bewertet ist, hängt in erster Line von Ihrer persönlichen Renditevorstellung ab und nicht vom aktuellen Zinsniveau. Angenommen, Ihre Renditevorstellung ist höher als 2 Prozent und liegt bei 5 bzw. 8 Prozent, dann müsste die Aktie 61,40 bzw. 46,32 Euro kosten, um „fair“ bewertet zu sein.
Damit unterscheidet sich der „faire“ Wert eines Investments, je nachdem wie hoch die Renditevorstellung des Investors ist. Je höher die Renditevorstellung, desto niedriger muss der Einkaufspreis im Vergleich zu den zu erwartenden Zahlungsströmen sein.
Kommen wir nun zu der aktuellen Lage bei dem deutschen Leitindex Dax. Betracht man die Dividendenausschüttungen der im Dax gelisteten Unternehmen im Verhältnis zu ihren Aktienkursen, so ergibt sich eine Dividendenrendite von 2,3 Prozent (arithmetisch gemittelt und nicht indexgewichtet). Angenommen, Sie erachten eine Rendite von 2,3 Prozent als ausreichend, auch weil es auf dem Tagesgeldkonto und bei (Staats) -Anleihen keine entsprechende Alternative gibt, so ist der Dax bei 11.454 Punkten (Schlusskurs vom Donnerstag 30.04.2015) „fair“ bewertet.
Sollte Ihre Renditevorstellung höher sein und bei ca. 3 Prozent liegen, was ungefähr dem historischen Durchschnitt des Dax entspricht, dann wäre der Dax beim aktuellen Stand um 24 Prozent überbewertet und müsste auf 9.200 Punkte fallen, um wieder „fair“ bewertet zu sein.
Beim S&P 500, dem amerikanischen Leitindex, in dem 500 der größten US-Unternehmen erfasst werden, liegt die aktuelle Dividendenrendite bei 1,94 Prozent und der historische Durchschnitt bei ca. 4 Prozent. Aktuell steht der S&P500 bei 2.108 Punkten (Schlusskurs von 01.05.2015). Auch hier impliziert der Durchschnittswert der Dividendenrendite von 4 Prozent einen Stand von 1.020 Punkten und damit eine 50-prozentige Überbewertung.
Die Geschichte lehrt uns, dass der Markt sich nicht an Statistiken hält und sowohl nach oben als auch nach unten ausbricht. Daher konnte man sowohl im Dax als auch im S&P500 in den vergangenen 30 Jahren Dividendenrenditen zwischen 1 und 6 Prozent beobachten. In Krisenphasen wie zuletzt 2008, als niemand Aktien kaufen mochte, stieg die Dividendenrendite im Dax auf über 5 Prozent. Auf der anderen Seite kam es in den 2000er Jahren auf dem Höhepunkt der Dot.com Blase zu einem Absinken der Dividendenrendite auf 1,2 Prozent.
Wie bereits erwähnt, basieren die oben aufgeführten Berechnungen auf den durchschnittlichen Dividendenrenditen der letzten 40 Jahre. Für einen Investor, der „nur“ in den Genuss einer durchschnittlichen Rendite kommen will, bedeutet das, sowohl Dax als auch S&P500 sind zu teuer. Für eine durchschnittliche Renditeerwartung müssten Dax und S&P500 um 24 Prozent bzw. 50 Prozent einbrechen, erst dann wären beide Indices „fair“ bewertet und ein Investor würde eine durchschnittliche Rendite einfahren können. Möchte man mehr Rendite, beispielsweise 4 Prozent (wie zuletzt 2011 möglich), so setzt das einen Dax-Einbruch von 40 Prozent voraus.
Vielleicht werden Sie einräumen, das sei Schwarzmalerei und es gäbe genug Crash-Prognosen. Stimmt! Trifft aber leider nicht den Punkt. Denn Aktien sind Vermögensgegenstände, die für einen gewissen Preis einen Anspruch auf zukünftige Gewinne ermöglichen. Möchte man eine gewisse Rendite einfahren, so müssen Preis und Gewinn in einem Zusammenhang stehen. Alles andere ist Spekulation und basiert darauf, dass man immer einen noch größeren Idioten finden muss, der einem ein überteuertes Papier abkauft (Greater Fool Theory). Leider kommt irgendwann der Punkt, an dem es kaum noch Idioten gibt, die bereit sind zu kaufen, und die Blase beginnt zu platzen – aktuell zu sehen bei Twitter und LinkedIn, deren Kurse am Freitag um über 20 Prozent eingebrochen sind.
Möchte man langfristig eine Rendite einfahren, die über dem Durchschnitt liegt, so sind viele Aktien im Dax und S&P500 derzeit einfach zu teuer und es gilt, sich zu gedulden und auf günstigere Gelegenheiten zu warten. Können Sie mit 2,3 Prozent leben und auch mal einen Einbruch der Kurse verkraften, dann ist der Dax aktuell „fair“ bewertet.
Es bleibt spannend,
Ihr Patrick Schubert